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«Beeindruckt hat mich die grosse Flexibilität»

Ralph Schröder, 21.08.2020
PD Dr. Christoph Fux in vollständiger Isolatiosschutzbekleidung
Wir haben mit PD Dr. Christoph Fux über seine Erfahrungen während der Corona-Pandemie, als Taskforce-Leiter im Spital, ein persönliches Gespräch geführt.

PD Dr. Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie & Spitalhygiene, ist während der Bewältigung der Corona-Pandemie als Taskforce-Leiter im Spital, aber auch als Experte in der Öffentlichkeit zu einer gefragten Person im Aargau geworden.

Dr. Christoph Fux, in den vergangenen Wochen haben sich Ihre Aufgaben im Spital komplett verändert. Sie sind quasi über Nacht vom Chefarzt Infektiologie & Spitalhygiene mit vorwiegend klinischer Tätigkeit zum gefragten Krisenmanager und Hauptkoordinator für die COVID-Anpassung des Spitals avanciert. Wie haben Sie diesen Rollenwechsel erlebt? War Ihnen von Anfang an klar, was da auf Sie zukommt?

Erst musste ich selbst mal begreifen, was da am Entstehen war. Am 25. Februar 2020 hatten wir den ersten Fall im Aargau diagnostiziert: Ein Tag Fieber, dann war schon fast alles vorbei. Doch da waren auch all die Berichte über erkrankte Senioren mit einer Sterblichkeit von über 20 Prozent. Eine halbe Woche später war alles bereit für die Basler Fasnacht: Mein «Goschdym» (eine Tigermücke!) lag bereit, ich versuchte – wie jedes Jahr – die letzten Verse und Piccolomärsche auswendig zu lernen. Vier Tage waren es noch bis dahin – da wurden in der Schweiz alle Grossveranstaltungen abgesagt, weil die Corona-Epidemie das Tessin infiltriert hatte. Nun realisierten wir, dass da etwas Unberechenbares auf uns zukam. Dann ging alles ganz schnell: Die äusserst hilfreiche Notrechtsverordnung des Kantons, der Stopp aller Elektiveingriffe und Routinekontrollen. Rückblickend staune ich über den damaligen Elan der Internisten, neue Patientenpfade zu erfinden und den Pragmatismus der Anästhesisten, ihre ganzen Teams innert Tagen auf den Kopf zu stellen. Dass all die Veränderungen so breit mitgetragen wurden, verdanken wir insbesondere dem riesigen Aufwand der Kommunikation, die zudem den Kontakt zu den Medien auch weiterhin sehr sorgfältig pflegen und damit wesentlichen Anteil daran haben, dass das KSA immer wieder angefragt wurde.

 

Wie müssen wir uns einen solchen Tag vorstellen?

Innert Tagen war ich zum Organisator mutiert, beschäftigte mich nur noch mit Prozessen und Interaktionen (und leider auch Nicht-Interaktionen). Die Anzahl E-Mails pro Tag verdreifachte sich, das Telefon läutete ununterbrochen und Sitzung folgte auf Telefonkonferenz. Alles im Versuch, unsere Massnahmen zu koordinieren: Innerhalb des KSA, mit dem Kantonsspital Baden (wunderbar unkompliziert, so unter Infektiologen) und dem Kanton. Zum Glück hatten Anna Conen und Sebastian Haubitz alle klinischen Aufgaben übernommen – inklusive der Aufgabe, ein völlig neues Krankheitsbild behandeln zu lernen. Die leeren Pendlerzüge nach Bern wurden zur Oase der Ruhe. Hier blieb Zeit, über die nächsten Schritte zu sinnieren – und herauszufinden, wie schwierig Sudokus werden, wenn man zu müde ist.

 

Heisst, zum Schlafen sind Sie kaum gekommen? Welche generellen Auswirkungen hatte dies auf Ihr Privatleben?

Als Kind hatte ich immer meine Grossmutter bewundert, die maximal 4 Stunden schlafen konnte pro Nacht. Nun konnte ich üben … Der Lockdown ergab sich zu Hause wie von selbst. Wir haben das Büro etwas sarkastisch in Hobbyraum umbenannt und in den letzten 10 Wochen mit Ausnahme der Kinder kaum jemanden gesehen. Gut, dass der Jüngste aktuell im Jass-Fieber ist und gerne mit uns Filme schaut.

 

PD Dr. Christoph Fux während dem Interview

 

In den Taskforce-Sitzungen hatte man den Eindruck, es sei nicht das erste Mal, dass Sie so ein Krisengremium geführt haben. Wie waren Sie auf diese Rolle vorbereitet? Woher stammt Ihr Know-how? Woher kommt diese Ruhe und Souveränität, die stets von Ihnen ausging?

Evelin Bucheli Laffer und ich haben uns täglich zusammengesetzt und diskutiert, was uns erwartet. Dabei versuchten wir immer, bereits den übernächsten Schritt zu denken. Hinzu kamen fast täglich gute Ideen der Leitung der Medizinischen Uniklinik, des Führungsorgans und natürlich der Taskforce – einem veritablen Thinktank, der in den Spitzenzeiten dreimal wöchentlich tagte. Diese Fülle an Plänen hat vielleicht zum Eindruck von Souveränität geführt – die Taskforce wusste immer, was sie von wem noch wollte. Schnell wurde uns zum Beispiel klar, dass wir die Hausärzte, welchen die Kantonsspitäler zu Beginn alle COVID-Verdachtsfälle abgenommen hatten, dank 24/7 erreichbarer KSA-Hotline und dem Testzentrum im Haus 35, wieder ins Boot holen mussten. Daraus ist die Idee geboren, zusammen mit Jürg Lareida, dem Präsidenten des Aargauer Ärztevereins, eine wöchentliche Online-Konferenz für Hausärzte zu organisieren. Dank Skype for Business konnten wir so wöchentlich bis 170 Zugriffe verzeichnen.

 

Was waren für Sie die grössten Heraus­forderungen in der Bewältigung der Krise und Führung der Taskforce?

Wir haben bald realisiert, dass die vor COVID bestehenden Reibungsverluste gewisser Interaktionen im Spital mit der Krise nicht besser werden würden. Während die Internisten Susanne Burgemeister und Hartwig Reiter effiziente Abläufe designten und die Anästhesie unter Leitung von Christoph Kindler, Thomas Kamber und Roland Vonmoos im Aufwachraum Berge versetzten, musste anderes hart verhandelt werden. Hilfreich war insbesondere, dass fast alle Seiten dann realisiert haben, dass Komfortzonen verlassen und jeder Abstriche machen musste. Und jeder hat das Spital Zofingen ob seiner unkomplizierten Hilfsbereitschaft noch mehr schätzen gelernt.

 

Sie waren und sind während der Krise auch im ständigen Austausch mit dem kantons­ärztlichen Dienst, mit anderen Spitälern und Fachexperten und insbesondere auch den Hausärzten? Wie haben Sie diesen Austausch konkret erlebt?

Bezüglich Kommunikationsstrategie haben wir in kürzester Zeit einen Quantensprung erreicht. Mittlerweile bin selbst ich für eine Skype-for-Business-Konferenz nicht mehr auf die Unterstützung meiner Assistentin Silja Herzog angewiesen – inklusive externe Referenten, Chat und Tonaufnahme! Denn Kommunikationsbedarf bestand nicht nur innerhalb des Aargaus. Auch unter den Deutschschweizer Infektiologen fehlte ein Abgleich der getroffenen Massnahmen. Motiviert durch die guten Erfahrungen mit unseren Hausärzten konnte das KSA auch hier eine Plattform anbieten. Es war und ist für mich z. B. äusserst ermutigend, von Kolleginnen und Kollegen zu hören, dass auch sie – wider alle Bilder in den Medien – weiterhin an die Wirksamkeit des Mund-Nasen-Schutzes (den wir immer vertreten haben) glauben und dass auch andere Spitäler infizierte Mitarbeitende haben.

«Es ist beeindruckend, mit welchem Engagement sich so viele eingesetzt haben.»

PD Dr. Christoph Fux

Welches Zwischenfazit würden Sie insgesamt ziehen? Was kann Positives herausgestrichen werden? Was ist eher kritisch zu betrachten?

Es ist beeindruckend, mit welchem Engagement sich so viele eingesetzt haben. Mit welcher Selbstverständlichkeit Mikrobiologie und Spitalhygiene zum Beispiel ihre Arbeitspensen erhöht, wie die Kitas Kinderbetreuungen improvisiert, Pflegende Gewohnheiten pausiert und Ängste überwunden haben. In vielen Bereichen des KSA ist das propagierte «Vom Ich zum Wir» höchst lebendig geworden; neue, tragfähigere Beziehungen konnten geknüpft werden. Wir haben aber auch gesehen, wo solche Plastizität nicht möglich ist. Und es wird uns täglich vor Augen geführt, dass die grösste Not des KSA Mangel an Pflegefachkräften heisst. Hier sind Spitalleitung und Gesellschaft gefordert, energisch Gegensteuer zu geben, wenn wir unsere Gestaltungsfreiheit bewahren wollen. Beifall spenden allein reicht nicht. Nun braucht es aber erst mal ein paar Wochen Ruhe. Viele sind müde, sehnen sich nach all dem Abgesagten, Verschobenen.

 

Gab es beispielsweise auch völlig Unerwartetes, Überraschendes?

Extrem gefreut hat mich zum Beispiel ein feines Znünisäckli, das einige Physiotherapeutinnen mir eines Tages mit einer lieben Karte auf mein Pult gelegt haben; oder als ich erfuhr, dass die Mutter einer Mitarbeitenden meine Interviews im Internet angeschaut habe, obwohl sie gar kein Berndeutsch verstehe. Solche Zeichen des Vertrauens tun gut. Sehr beeindruckt hat mich zudem die grosse Zahl Freiwilliger, die sich gemeldet haben, um ihr Spital zu unterstützen.

 

Sie waren nicht nur in der Rolle des Taskforce-Leiters, Mitglied des Führungsorgans und als Fachexperte Infektiologe der Mann der Stunde im Spital, sondern sind früh auch medial zum gefragtesten Experten des Kantons avanciert, quasi zum «Daniel Koch» des Aargaus mit zahlreichen Fernseh- und Radioauftritten, Interviews in Zeitungen usw. Wie haben Sie sich in dieser Rolle gefühlt, in die Sie quasi reingerutscht sind?

Schnell wurde uns klar, dass wir die Spital-Kapazität nur sehr beschränkt steigern konnten; dass nicht wir, sondern die Bevölkerung mit ihrem Verhalten entschied, ob es zur Katastrophe kommen würde oder nicht. Wenn man bedenkt, dass nur schon eine Verzögerung des Lockdowns um eine Woche unsere gesamte Spitalkapazität aufgebraucht hätte. Dass es uns schlicht überfordert hätte, wenn jeder kranke Altersheimbewohner hospitalisiert worden wäre. Unter diesen Eindrücken schien es zwingend, dass ich mithelfen wollte, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Dabei kam mir sicher die Erfahrung unzähliger Vorträge in meiner Karriere zugute. Die Aufgabe wurde mir dabei sehr einfach gemacht – die Aargauer Medien waren echt bemüht mitzuhelfen – keine Spur von Polemik. Nur als das KSB meinen Appell in der Aargauer Zeitung nicht mittragen wollte, mit alten Menschen aus aktuellem Anlass über das Wie und Wo des Sterbens zu sprechen, wurde mir etwas bange.

 

Was nehmen Sie persönlich aus der Erfahrung der letzten Wochen mit?

Am meisten beeindruckt hat mich die grosse Flexibilität, pragmatisch auf Neues zu reagieren. Diese Fähigkeit müssen wir uns für den Alltag bewahren! Als Schweizer tut es uns gut, etwas entspannter mit Unsicherheiten leben zu lernen – wir werden das zunehmend brauchen. Auch habe ich – wie viele meiner Kollegen an anderen Zentren – gespürt, wie schnell man durch absorbierende Spezialaufgaben in dieser «Corona-Bubble» zu versinken und den Kontakt zu seinem Team zu verlieren droht. Und wie wichtig es ist, Teil des klinischen Alltags zu bleiben.

 

Eine letzte Frage mit Blick in die Kristall­kugel: Wohin wird die Reise gehen? Lässt sich dazu zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt etwas Gesichertes sagen?

Primär beunruhigt mich die Sorglosigkeit, mit der aktuell das Social Distancing missachtet wird, auf dem Arbeitsweg, aber auch in den Mittagspausen bei uns im Spital. Damit ist eine zweite Welle vorprogrammiert. Viele realisieren nicht, dass wir die Wahl haben zwischen einem Mittelweg mit stabiler Bewegungsfreiheit mit Distanzhalten oder Maske und einem unberechenbaren Hin und Her zwischen den Extremen «alles dürfen» und «Lockdown».

Autor*in

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Redaktor/Stv. Mediensprecher

Nach langjähriger Tätigkeit als Lehrer, Korrektor, Redaktor und Verlagsleiter ist Ralph Schröder seit 2011 ein engagierter und bedachter Texter für das KSA, der es jederzeit versteht, dem geschriebenen Wort Verständnis und Sinn einzuimpfen.