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«Das Kind spürt die Angst seiner Eltern»

Muss ein Kind operiert werden, löst das in der Familie oft grosse Sorgen aus. Deshalb ist die psychologische Arbeit der Ärztinnen und Ärzte beinahe ebenso wichtig wie die medizinische Expertise.

Zwei Jahre alt ist das Mädchen, dessen Mutter Anfang März die Kinderchirurgie des Kantonsspitals Aarau aufsucht. Das Kind hat mehrere Magnete verschluckt. Es wird sofort notoperiert. Zehn Tage lang bleibt es zur Behandlung im Spital – die Mutter weicht nicht von seiner Seite. 

Magnete im Darm, innere Verletzungen nach Fahrradstürzen, schwere Verwundungen von Fersen, die beim Mitfahren auf dem Gepäckträger in die Velospeichen geraten sind: Kinderchirurginnen und -chirurgen sind mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als Erwachsenenchirurgen. Und das nicht nur, was Unfälle, sondern auch was Krankheitsbilder anbelangt. So tritt etwa eine Pylorusstenose, eine Verengung des Magenausgangs, typischerweise im Alter von circa zwei Wochen bis drei Monaten auf – danach nicht mehr. «Erwachsenenchirurginnen und -chirurgen kennen dieses Krankheitsbild womöglich gar nicht», sagt Valérie Oesch, Chefärztin der Kinderchirurgie am KSA Aarau. «Eine Kinderchirurgin aber muss es zwingend kennen.» 

 

Andere Krankheitsbilder, andere Behandlungsmethoden 

Selbst Frakturen unterscheiden sich. «Teenager brechen sich häufig den Knochen oberhalb des Sprunggelenks, wenn die Wachstumsfuge beginnt, sich zu schliessen», erklärt die 57-jährige Ärztin, die seit zwölf Jahren am Kantonsspital Aarau tätig ist. Typisch für jüngere Kinder hingegen sei die sogenannte Trampolinfraktur des Schienbeins direkt unterhalb des Knies. 

Bei Kindern müssen manche Knochenbrüche lediglich manuell gerichtet und anschliessend mit einem Gips stabilisiert werden. Dank des kindlichen Wachstums kann sich eine übriggebliebene Fehlstellung von alleine korrigieren. Je jünger das Kind, desto grösser das Potenzial der Remodellierung. 

Sollte eine Operation erforderlich sein, verläuft diese ebenfalls anders als bei erwachsenen Patientinnen und Patienten. Bei Frakturen des Unterarms kommen beispielsweise weder Schrauben noch Platten zum Einsatz. Stattdessen werden je nach Ort des Bruchs sogenannte Spickdrähte oder elastische Titan-Nägel verwendet, um den Knochen zu fixieren. «Die Wachstumsfuge sollte möglichst nicht verletzt werden», erläutert Valérie Oesch.  

Kinderchirurginnen und -chirurgen sind mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert als Erwachsenenchirurgen. 

«Ich vermeide das Wort ‹Schnitt›»

Die Behandlung ist das eine, die sorgfältige Vorbereitung das andere. Dazu gehört auch die Aufklärung der Eltern und Kinder über den Ablauf der Operation. Wichtig ist, dass ein Vertrauensverhältnis aufgebaut und die Angst vor dem Eingriff möglichst klein gehalten wird. Besonders für die Kinder spielt die Wortwahl eine grosse Rolle. «Ich vermeide deshalb beispielsweise das Wort ‹Schnitt› und spreche lieber von ‹Zugang›», so Valérie Oesch.  

Die Befürchtung vieler Eltern, dass ihr Kind durch den Eingriff traumatisiert werde, ist für sie verständlich, bestätige sich aber selten. Entscheidend sei vielmehr das eigene Verhalten. «Wenn wir merken, dass ein Elternteil während einer medizinischen Massnahme beim wachen Kind viel Stress hat, empfehlen wir ihm, während des Eingriffs einen Kaffee trinken zu gehen. Denn das Kind spürt die Angst.» 

 

Mitgefühl ohne Tränen 

Umgekehrt sei die psychologische Unterstützung des Kindes durch die Eltern unersetzlich. Die Mutter des kleinen Mädchens, das nach der operativen Entfernung der Magnete noch Tage im Spital bleiben musste, habe ihrem Kind jeden Schritt erklärt und dabei auch nicht verheimlicht, dass das Legen einer Infusion unangenehm sei. «Sie war aufrichtig und zugleich positiv. Sie hat mit ihrem Kind mitgefühlt, aber nie geweint.»  

Ende März ist das Mädchen zur Nachkontrolle gekommen. Die Mutter habe erzählt, dass es sich auf den Besuch im Spital gefreut habe. «Es hatte seinen Aufenthalt bei uns in guter Erinnerung. Das macht es für alle Beteiligten leichter.»

Teddyklinik im Kinderspital des KSA Aarau

Um Kindern die Angst vor dem Spital zu nehmen, öffnete die Teddyklinik des Kinderspitals am KSA Aarau am 3. Juni 2023 von 10 bis 15 Uhr ihre Pforten. Alle Kinder waren eingeladen, im Zelt bei Haus 3 ihre Lieblingsplüschtiere von den Ärztinnen und Ärzten untersuchen zu lassen, Fragen zu stellen und selbst Hand anzulegen. 

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Chefärztin Kinderchirurgie im Kantonsspital Aarau