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Chronik einer angekündigten besonderen Lage

Nadia De Carlo, 21.08.2020
Chronik einer angekündigten Lage
Nadia De Carlo, dipl. Expertin Intensivpflege auf der IPS 121, vermittelt in einer Chronik die Ereignisse, Erlebnisse und Anforderungen während der ersten Phase des Ausnahmezustands in unserem Spital.

10. März 2020
In der Deutschschweiz ist alles noch möglich; der Lockdown ist noch nicht in Kraft getreten. Ich esse zu Mittag im Restaurant mit meiner Freundin und wir unterhalten uns natürlich über die angstmachenden Berichte und die Lage der stark vom Corona-Virus betroffenen Orte in der Lombardei und im Tessin.
Trotz allem besteht bei uns an diesem Tag immer noch die Hoffnung, die geplanten Ferien im Mai antreten zu können …

13. März 2020
Ich habe Spätdienst auf der chirurgischen Intensivstation 121, die zur Corona-Abteilung «nominiert» worden ist. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren:

  • Ein Konzept für die «Isolation bei COVID-19» wird erarbeitet.
  • Material wird organisiert.
  • Personal wird rekrutiert.
  • Korrektes An-/Ausziehen von Schutzbekleidung wird geübt.
  • Durchführung von Bauchlage von COVID-­Patientinnen und -Patienten wird repetiert und fotografisch festgehalten.
  • Die ganze Abteilung wird umgeräumt, damit am Ende alles gut in einer «sauberen» und in einer «Schmutz-Zone» organisiert ist.
  • Das gesamte Intensivpflegepersonal wird instruiert.
  • Schicht-, Arbeits- und Pausenabläufe werden geregelt… und vieles mehr!

19. – 22. März 2020
Ich habe Nachtdienst. Wir sind «erwartungsvoll», nervös, wir haben wenig bis keine Patienten, lesen mehrmals alle Infoblätter durch, üben in kleinen Gruppen mit der Dienstärztin das Vorgehen bei Intubation von COVID-Patienten und «warten auf sie …».

Die Atmosphäre auf der Abteilung ist gespenstisch.

23. März – 26. April 2020
Nun ist es so weit; seit Anfang Woche betreuen wir ausschliesslich COVID-Patienten. Zwischenzeitlich betreuen wir auf der 121 bis zu 8 be­atmete Patientinnen und Patienten, 2 bis 4 auf der neu eingerichteten 123 (ehemaliger Aufwachraum) und 1 bis 4 auf der 111 (Medizinische Intensiv­station).
Die Arbeit in der Isolation ist anspruchsvoll, erfordert Disziplin und Durchhaltevermögen: die Hygienemassnahmen müssen zu 100% eingehalten werden, unter der Schutzkleidung schwitzt man sehr stark, man muss lernen, Arbeiten zu delegieren, kann sich nicht frei bewegen, zum Beispiel schnell etwas trinken gehen, ein schnelles Austreten sind nicht möglich.

Ende April
Die Lage war zum Glück nie so kritisch wie im Tessin oder gar in der Lombardei. Wir hatten genug Zeit, um uns vorzubereiten, und hatten glücklicherweise nie alle Betten belegt.
Zudem hatten wir keinen Personalengpass: dank der Bereitschaft von vielen von uns, das Arbeitspensum zu erhöhen und dank der grossen Unterstützung von Mitarbeitenden aus anderen Intensivstationen, aus anderen Disziplinen (Anästhesie und Technische Operationsassistentinnen und -assistenten) und der Rekrutierung ehemaliger Intensivpflegefachkräfte konnten wir diese Situation gut meistern.
Die grossartige Hilfe sowohl bei der Patientenbetreuung in der Isolation wie auch «draussen» in der «sauberen Zone» beim Richten und Aufziehen von Medikamenten und Erfüllen aller Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden in der isolierten Zone brachte viele Pflegefachkräfte zusammen, die sich ansonsten nie kennen gelernt hätten.

Autor*in

Dipl. Expertin Intensivpflege KSA