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Medizinischer Masseur und Motorradverrückter

Ralph Schröder, 19.06.2019
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Der 63-jährige Jürgen Dames arbeitet seit 42 Jahren als medizinischer Masseur am KSA, davon 20 Jahre als Teamleiter der physikalischen Therapie. Er ist ein wahrer Oldtimer und ein Motorradverrückter.

Zu Fuss trifft ihn selten jemand auf dem Spitalareal an, höchstens barfuss, in Birkenstöcken, dafür auf einem Tret-Roller. Dabei ist er auch sonst nicht zu übersehen und zu überhören. Ein weissgrauer Rauschebart, die Haare hinten zu einem Rossschwanz gebunden, immer einen lockeren, mit rheinländischem Akzent artikulierten Spruch auf den Lippen, so werden ihn die meisten kennen, und wer schon länger hier arbeitet, dem wird ein Lächeln ins Gesicht kommen, wenn von ihm die Rede ist. Denn Jürgen Dames, von dem hier die Rede ist, ist ein Original, wie es im Buche steht, ein KSA-Urgestein noch dazu. Denn kaum jemand im KSA wird aktuell mehr Dienstjahre auf seinem Konto stehen haben als Jürgen, nämlich stolze 42.

Auch ausserhalb des KSA wird ihn selten einer zu Fuss antreffen. Wenn, dann auf motorisierten Zwei-, Drei- oder Vierrädern oder gar mit einem Einachser. Denn Jürgen ist seit frühester Jugend ein Motorenfreak, -tüftler und -schrauber und Besitzer einer ansehnlichen Motorrad-Sammlung, eines Kleinlastwagens, PKW, eines Traktors und Rapid-Einachsers. Zu seinen besten Zeiten befanden sich neben zahlreichen nicht oder noch nicht verkehrstauglichen Motorrädern und anderen Vehikeln nicht weniger als 8 fahrtüchtige Feuerstühle in seinem Besitz, darunter u. a. eine Harley, eine BMW mit Kalisch-Schwenker (Seitenwagen), eine Zündapp KS 601 Gespann 1951, eine Yamaha Enduro oder ein Invalidenmotorrad mit Zweitaktmotor im Tigerenten-Look aus den 1960er-Jahren (siehe Bild rechts). Ja, auch auffällige Farbtöne und Farbgebungen sind ein Markenzeichen von Jürgen. Er ist eben auch, wie man im Deutschen so schön sagt, ein bunter Hund. Doch erst einmal von Anfang an.

Jürgen ist in Neuwied Nähe Bonn in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen. Neben seiner früh entdeckten Leidenschaft für motorisierte Zweiräder war er in seiner Jugend auch ein passionierter Ruderer im Ruderverein Neuwied am Rhein gewesen. Ein zweiter Platz bei den deutschen Jugendmeisterschaften beweist, wie weit er es in dieser Sportart gebracht hat. Die jeweils an den Wochenenden stattfindenden Regatten haben ihn früh in andere Regionen gebracht und seinen Erfahrungshorizont erweitert. Jürgen liebt das Unterwegssein, das Ungebundene, Ungezwungene. Der Zeitgeist der 1970er-Jahre hat seine Spuren bei Jürgen hinterlassen, bis heute. Den Entscheid zu einer Ausbildung zum medizinischen Masseur verdankt er letztlich einem Beinbruch und einem damit verbundenen längeren Spitalaufenthalt in seiner Jugend. Das Spitalumfeld und die Arbeit des medizinischen Masseurs gefallen ihm, und so entschliesst er sich zu einer Berufslehre in diesem Fach. «Wir hatten es damals mit einem ganz anderen Patientengut zu tun als heute, ich habe damals Patienten gesehen, die man so heute aufgrund der rasanten medizinischen Entwicklung und neuer Medikamente gar nicht mehr zu sehen bekommt», erzählt Jürgen. Schwer leidende und von der Krankheit gezeichnete MS- oder polyarthritische Patienten kommen ihm dabei in den Sinn.

Physiotherapeut

Mein Lebensmotto: Leben und leben lassen.

Kurz vor Lehrabschluss meldet sich dann die Bundeswehr bei Jürgen. Doch Uniformen und  autoritäre Strukturen sind nicht die Sache des fried- und freiheitsliebenden Jürgen. Auf der Suche nach einem Ausweg wagt er die Flucht nach vorn und meldet sich zunächst freiwillig, mimt zunächst den Enttäuschten, als man ihm mitteilt, dass er weder Panzer noch U-Boot fahren geschweige denn ein Flugzeug fliegen dürfe, erbittet sich derweil ein Jahr Bedenkzeit, um schliesslich klammheimlich seine Auswanderung in die Schweiz vorzubereiten. – Ja, Jürgen Dames ist in die Schweiz gegangen – geflüchtet, müsste man eigentlich sagen –, weil ihm mangels Alternativen zum Wehrdienst damals nichts anderes übrig blieb. «So war das damals», sagt Jürgen.

Bereut hat er diesen Schritt nie, auch wenn er nicht einmal gewusst hat, wo genau die Schweiz eigentlich liegt, gibt Jürgen, ehrlich wie er ist, heute zu. Auch die Wahl, nach Aarau zu kommen, war eher zufällig, es war das naheliegendste Angebot, das er bekam, hier im KSA.

Es folgten aufregende Jahre. Jürgen, dessen Frohnatur und Unbekümmertheit überall gut ankommt, schliesst rasch Bekanntschaft, sowohl mit seinen Arbeitskollegen als auch sonst, lebt zunächst in einer WG in einem Bauernhaus, später in einer 6-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Schlössli Schafisheim (für damals sage und schreibe 89 Franken pro Monat!). Jürgen pflegt eine offene, kommune, nicht konsumorientierte und alternative Lebensweise mit hohem Spassfaktor. Schon seit Längerem pflegt er seine Motorleidenschaft, bringt schrottreife Motorräder wieder zum Knattern und geniesst mit Kollegen das Fahren von zu Schrott geweihten Autos in der nahe gelegenen Kiesgrube. Born to be wild, Easy Ryder und ein Hauch von Flower-Power umweht diese farbige Zeit, erzählt Jürgen, der sich gerne zurückerinnert.

Heute, d. h. seit 25 Jahren, lebt Jürgen in einem grossen Bauernhaus in Reitnau, mit dem er sich einen lang gehegten Traum erfüllte. Innen und aussen bunt bemalt, wie sich das für einen bunten Hund wie Jürgen gehört, und mit viel Umschwung für seine zig Gerätschaften und Fahrzeuge. An seiner Unkonventionalität und offenen Lebensweise hat Jürgen nie etwas geändert. Warum auch? Er ist bis heute damit gut gefahren. Und auch im Beruf wird er nicht nur von seinen Kollegen, sondern auch von den Patienten sehr geschätzt. Er beherrscht sein Masseur-
Handwerk und in welchem Spital werden einem mit so viel Charme und Humor beim Massieren Supplements wie Heuwickel oder Fangopackungen geboten. Leider nicht mehr für lange. Jürgen lässt sich in diesem Jahr pensionieren.

Autor*in

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Redaktor/Stv. Mediensprecher

Nach langjähriger Tätigkeit als Lehrer, Korrektor, Redaktor und Verlagsleiter ist Ralph Schröder seit 2011 ein engagierter und bedachter Texter für das KSA, der es jederzeit versteht, dem geschriebenen Wort Verständnis und Sinn einzuimpfen.