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Geschichten, die heilen

Stefan Glantschnig, 11.06.2020
Die 7-jährige Yuna bewältigt mithilfe von Figurenspieltherapie ihr Krebsleiden und nimmt uns mit in ihre wunderbare Welt.

Traumata und Krankheiten belasten Kinder schwer. Oft haben sie Mühe damit, in Worten auszudrücken, was sie in diesen Situationen beschäftigt und was sie benötigen. Die Figurenspieltherapie ermöglicht ihnen, die Probleme auf spielerische Weise auszudrücken und so zu verarbeiten. Mit Claudia Steger verfügt das KSA als schweizweit einziges Spital über eine diplomierte Figurenspieltherapeutin. Die 7-jährige Yuna bewältigt mithilfe dieser Therapie ihr Krebsleiden und nimmt uns mit in ihre wunderbare Welt.

 

«Der Schatz ist in der Nähe des blauen Fischs», sagt die Taucherin zum Piraten. Dieser macht sich anschliessend auf die Suche danach – und scheitert dabei selbstverständlich. So sieht es die Geschichte vor, die sich Yuna ausgedacht hat. Es ist ihre Welt, in der sich Fantasie und Realität nach Belieben vermischen dürfen und sollen. Deshalb spielt es auch keine Rolle, dass das Gespräch zwischen den beiden Protagonisten unter Wasser stattfindet und Pfauenfedern zu Fischen werden.

Yuna ist 7 Jahre alt und ist an Leukämie erkrankt. Dank einer mehrmonatigen Chemotherapie und ihrem unbändigen Lebensmut hat sie den Krebs besiegt. Es ist ihr kaum anzumerken, was sie in ihrem jungen Alter bereits durchlebt hat, wenn sie in ihre Welt eintaucht und jedes Mal lacht, wenn sie den Piraten bei der Schatzsuche wieder auf eine falsche Fährte schickt.

Figurentherapie

«Wie kann ich Kindern etwas Gutes tun?»

Der Fisch, die Taucherin und der Pirat sind Handpuppen und Bestandteil der Figurenspieltherapie, die das KSA seit zwei Jahren in der Klinik für Kinder und Jugendliche anbietet. Diese Spiel- und Kunsttherapieform hilft bei der Bewältigung von Traumata und schweren Krankheiten. Mit Claudia Steger verfügt das KSA als einziges Spital schweizweit über eine diplomierte Therapeutin in dieser Disziplin. Die Ausbildung absolvierte Steger berufsbegleitend an der höheren Fachschule für Figurenspieltherapie in Interlaken.

Hauptberuflich arbeitet sie seit elf Jahren als Pflegefachfrau auf der Station 910, der Kinderonkologie und -chirurgie des KSA. Bei der täglichen Arbeit sieht sie viel Leid, denn die Chemotherapie stellt für Kinder eine grosse Belastung dar. «Mich drängte stets die Frage, wie ich den Kindern etwas Gutes tun und meine Arbeit ergänzen kann», erzählt sie. Mit der Figuren-spieltherapie fand sie das passende Instrument dafür.

«Die Sprache der Kinder ist das Spielen, damit  verarbeiten sie ihre Erlebnisse.»

Yuna öffnete sich durch eine Tierfigur

Die spezielle Therapieform stellt nicht die Krankheit ins Zentrum. Sie erlaubt es den Kindern, einfach mal Kind zu sein. «Die Figurenspieltherapie hilft, verborgene Schätze zu entdecken. Sie weckt schlafende Bären-kräfte und zähmt tobende Drachen», umschreibt Claudia Steger das Konzept. Damit fokussiert sie auf die einzigartige Fähigkeit der Figurenspieltherapie, sich einer Sprache bzw. einer Ausdrucksform zu bedienen, deren Kinder mächtig sind. «Eigentlich wüssten Kinder sehr gut, was sie brauchen. Doch es fällt ihnen oft schwer, das, was sie bedrückt, in Worte zu fassen», erklärt die Therapeutin und konkretisiert: «Die Sprache der Kinder ist das Spielen, damit verarbeiten sie ihre Erlebnisse.»

Zu Beginn einer Therapie definiert Claudia Steger gemeinsam mit dem Kind und den Eltern ein Ziel. Wie bei den meisten Krebskranken bestand es bei Yuna darin, sie bei Herausforderungen im Krankheitsverlauf zu unterstützen. Die Krebskranken haben mit dem Aussehen zu kämpfen, den Auswirkungen von Cortison auf das Essverhalten, dem Haarausfall und auch mit Wutanfällen. Den Zugang zu Yuna fand die Therapeutin über die erste Figur, die Yuna selber gebastelt hat: den blauen Fisch. Häufig gelingen die ersten Annäherungsversuche besser über Tiere. Sobald sich Yuna wohler fühlte, gestaltete sie die Taucherin – also sich selbst. Diese Figur ist nun ihre ständige Begleiterin.

Figurentherapie

Die Therapie gibt ihr Kraft und Sicherheit

Auch bei der heutigen Therapiestunde sind der Fisch und die Taucherin dabei. Zielstrebig wählt Yuna die restlichen Requisiten aus dem Therapiewagen aus. Bereits nach wenigen Minuten ist sie fest ins Spiel vertieft. Als aussenstehender Erwachsener könnte man neidisch werden auf die fantasiereiche Darbietung. Yuna weiss meist genau, welche Geschichte sie spielen will. Das gibt ihr auch Sicherheit und Kraft, was die Eltern in diesem Prozess entlastet. Die Verständigung mit Figuren und Requisiten reicht bis weit in die Geschichte zurück und ermöglicht den Austausch über Sprachgrenzen hinweg. Claudia Steger hat auf diese Weise selbst in Nepal mit Strassen- und Waisenkindern kommuniziert, mit denen sie sich sonst nicht hätte unterhalten können.

Die Figurenspieltherapie findet im KSA grossen Anklang und ergänzt die bestehenden Behandlungsmethoden für Kinder. Als Corinne Maurer, Bereichsleiterin Pflege Frauen und Kinder, von Claudia Stegers Plänen hörte, war sie sofort begeistert. Sie setzte sich dafür ein, dass die Pflegefachfrau 10 Prozent ihres Pensums für die Therapie beanspruchen konnte. Dieses Pensum verdoppelte sie nach kurzer Zeit, weil die Figurenspieltherapie bei den Kindern sowie den Eltern auf viel Zustimmung stiess.

Mit Geschichten auf den Tod vorbereiten

Claudia Stegers jüngster Patient hat die Therapie begonnen, als er drei Jahre alt und hochgradig depressiv war. Dennoch hat sie einen Zugang zu ihm gefunden. Schritt für Schritt haben sie gemeinsam mit Ton sein Zuhause nachgebaut und die einzelnen Zimmer belebt – und damit den Jungen selbst. Ihre langjährige Erfahrung in der Pflege hilft der Therapeutin beim Bewältigen solcher Fälle, auch wenn ihr einzelne Schicksale nahegehen. So zum Beispiel, als sie einen 9-Jährigen kurz vor seinem Tod beruhigen konnte, indem sie ihm eine Geschichte vom Sterben als Verwandlung erzählte. Dieses Bild half insbesondere auch seinen Eltern beim Abschiednehmen.

Yuna hat ihr Leben noch vor sich, bei ihr ist die Chemotherapie abgeschlossen. Die Integration zurück in den Alltag fällt ihr leicht. Sie liebt die Schule und freut sich auf das, was noch kommt. Weshalb sie sich so gerne in einer Unterwasserwelt aufhält und aus welchem Grund sie sich selbst als Taucherin sieht, bleibt ihr Geheimnis. Die Figurenspieltherapie geht für Yuna noch ein wenig weiter. Mit diesem wichtigen letzten Schritt begleitet Claudia Steger die 7-Jährige behutsam zurück in ein normales Leben.

 

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