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Mehr Lebensqualität dank Achtsamkeit

Valeria Pagani, 06.05.2020

Kaum ein anderer Begriff hat in den vergangenen Jahren so viel mediale Aufmerksamkeit gewonnen wie «Achtsamkeit». Achtsam zu sein bedeutet, Körper und Geist von allen Ablenkungen zu befreien und sich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Achtsam zu sein heisst, sich darüber bewusst zu sein, was in diesem Moment geschieht. Doch was hat Achtsamkeit mit dem KSA zu tun?

Ein achtsamer Umgang mit sich selbst kann Menschen mit schweren Krankheiten helfen, mit ihrer Lebenssituation besser umzugehen. Achtsamkeitstraining sorgt für mehr Gelassenheit im Alltag. Entsprechende Übungen finden daher häufig auch Anwendung in der Psychotherapie – so auch in der Abteilung Psychosomatik/Psychoonkologie im Kantonsspital Aarau. Angefangen hat das Team mit einem speziell auf MS-Patientinnen und Patienten (Multiple Sklerose) ausgerichteten Gruppenangebot. Seither werden Achtsamkeitsübungen vermehrt in den (Psycho-)Therapiealltag integriert.

 

Akzeptieren und annehmen was da ist

Aufgebaut hat die Angebote Christoph Frutiger, Psychotherapeut im Bereich Psychosomatik/Psychoonkologie am KSA. Der 37-Jährige machte bereits in seiner Jugend positive Erfahrungen mit Achtsamkeitsübungen und Meditation. Sie unterstützten ihn bei der Behandlung seiner Sehschwäche – seither ist er «achtsam unterwegs». Während seines Psychologiestudiums vertiefte Christoph Frutiger die Thematik und setzte sich wissenschaftlich damit auseinander. Heute wendet er die Übungen regelmässig in seinen Therapiesitzungen an.

Achtsamkeitsübungen alleine machen niemanden gesund. Sie helfen aber dabei, zur Ruhe zu kommen und führen zu Entspannung und Gelassenheit.

Christoph Frutiger arbeitet seit 2014 beim KSA und behandelt Patientinnen und Patienten mit psychosomatischen Problemen. Bei vielen psychischen Erkrankungen ist Stress eine grosse Komponente. «Achtsamkeitsübungen alleine machen niemanden gesund. Sie helfen aber dabei, zur Ruhe zu kommen und führen zu Entspannung und Gelassenheit», so Frutiger. Dies begünstige weiterführende Therapien. Achtsamkeitsübungen seien deshalb etwas, was er ganz am Anfang mit seinen Patientinnen und Patienten anschaue. «Sie lernen sich richtig wahrzunehmen – eine Art Wahrnehmungsschulung», präzisiert der Psychotherapeut. Achtsamkeitsübungen kann Christoph Frutiger grundsätzlich jeder Person empfehlen. Einzig bei schwer traumatisierten Patientinnen und Patienten müsse man vorsichtig sein, denn bereits das Schliessen der Augen könne Erinnerung an traumatische Situationen hervorrufen.

Achtsamkeit ist eine Einstellung

Das Prinzip der Achtsamkeitsübungen ist einfach: Es geht darum, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Fokus zu richten – dies kann zum Beispiel eine Kerze, das Essen, die Natur oder auch der eigene Atem sein. Christoph Frutiger erklärt: «Der Atem eignet sich sehr gut, weil er automatisch passiert.» Eine leere Wand anzuschauen hingegen, berge die Gefahr, mit den Gedanken abzuschweifen. Und der Fernseher lenke zu stark ab.

Über die Jahre haben sich beim Fachspezialisten zahlreiche Ideen für Achtsamkeitsübungen angesammelt. Diese hat er nun in einem eigens entwickelten Kartenset mit rund 60 praktischen Übungen zu Achtsamkeit und Entspannung zusammengetragen. Die Patientinnen und Kursteilnehmer wählen in der Regel ein bis zwei Übungen aus und praktizieren diese anschliessend in ihrem Alltag.

Der Atem eignet sich sehr gut für eine Achtsamkeitsübung, weil er automatisch passiert.

Die Basiskurse zur Achtsamkeit richten sich auch an die KSA-Mitarbeitenden. Ihnen gibt Christoph Frutiger unter anderem Tipps für den Arbeitsalltag mit: «Ich rate den Mitarbeitenden zum Beispiel, den Weg zwischen zwei Patientenzimmern oder den Spitalgebäuden ganz bewusst zu gehen und sich dabei auf die Fusssohlen konzentrieren, die Bäume zu geniessen oder auch einfach jemanden anzulächeln.» Es gehe nicht um das Ausführen einer Handlung an sich. Vielmehr stehe die Art und Weise der Ausführung im Mittelpunkt. Deshalb können Achtsamkeitsübungen überall in den Alltag eingebunden werden.

 

Die Interaktion zwischen Patient oder Patientin und Psychologe ist zentral

Die Rückmeldungen zu den Kursen und Übungen in den Therapien fallen sehr positiv aus. Zwar würden einige Patientinnen und Kursteilnehmer die Übungen anfänglich etwas suspekt finden, doch lege sich die Skepsis meistens mit der Zeit: «Nach dem sie ein paarmal geübt haben, beginnen sie zu realisieren, worum es geht.», so Frutiger. Er selbst sei immer wieder überrascht, wie schnell sich Veränderungen zeigen. Bereits nach acht Wochen könne er ein verbessertes Wohlbefinden der Menschen feststellen. Oft brauche es eben nur einen Anstoss und der Rest ergäbe sich dann von selbst. Der Psychotherapeut berichtet auch von einzelnen Personen, die nichts mit den Übungen anfangen können: «Sie empfinden die Kurse beispielsweise als zu esoterisch.» Wenn Menschen voreingenommen sind, sei es schwierig, einen Effekt zu spüren. Schliesslich könne er die Teilnehmenden nur anleiten und ihnen Tipps und Übungen auf den Weg geben – ausführen müssen sie diese selber.

Christoph Frutiger betont im Gespräch auch wie wichtig es sei, im Umgang mit seinen Patientinnen und Patienten selbst achtsam eingestellt zu sein: «Der Fortschritt einer Psychotherapie hängt zu einem grossen Teil von der Interaktion zwischen Patient oder Patientin und Psychologe ab. Deshalb haben meine Einstellung und mein Verhalten einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden des Gegenübers.» Er versuche ein «achtsames Vorbild» zu sein. Ihm selbst helfe die bewusst gelebte Achtsamkeit, sich zu entspannen und auch mit den teils schwierigeren Geschichten seiner Patientinnen und Patienten besser umzugehen.

 

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