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Mit Hitze gegen den Krebs

Markus Kocher, 17.02.2020
Seit über zwanzig Jahren werden im Kantonsspital Aarau Krebspatienten zusätzlich zur Chemo- und Strahlentherapie auch mit Hyperthermie behandelt – so wie die 86-jährige Dora Meister.

«Mir geht es hervorragend. Gestern bin ich mit einer Freundin im Kino gewesen und am Sonntag steht ein Konzert auf dem Programm.» Dora Meister (Name geändert) sitzt entspannt in ihrem liebevoll eingerichteten Wohnzimmer an einem schönen Biedermeiertischchen und lässt die letzten Jahre Revue passieren. Im Oktober 2012 hatte die rüstige Rentnerin zweimal etwas Blut im Urin. «Obwohl ich keine Schmerzen hatte, bin ich zu meiner Frauenärztin gegangen.» Die habe eine Ultraschalluntersuchung gemacht und einige kleine schwarze Punkte gesehen, die man «gelegentlich detaillierter anschauen müsse». Wider Erwarten ging es dann aber plötzlich sehr schnell. Schon nach gut einer Woche lag Meister im Kantonsspital Aarau (KSA) auf dem Operationstisch. «Mit einem Auge habe ich auf dem Bildschirm zugeschaut, wie die Chirurgen das betroffene Gewebe entnahmen und in die Histologie schickten.» Befund: kleine, oberflächliche Harnblasentumore. Es folgte eine Immuntherapie, bei der die Blase sechsmal mit abgeschwächten Tuberkelbakterien gespült wurde. «Dann hatte ich zwei Jahre Ruhe», sagt Meister. Bis zum 15. November 2016.

«Jetzt wird alles gut»

«Während der halbjährlichen Kontrolle haben die Ärzte im KSA auf dem Ultraschallbild etwas Grösseres entdeckt», erinnert sich Meister. Eine Gewebeentnahme brachte den Befund: ein Blasentumor. «Ein Schock», sagt Meister. Für sie sei festgestanden, dass sie auf keinen Fall ohne Blase weiterleben wolle; aus diesem Grund habe sie sich bereits mit palliativen Behandlungsmethoden auseinandergesetzt. Zum Glück teilten ihr die Ärzte mit, dass es da noch eine andere Behandlungsmöglichkeit gebe: die Hyperthermie. Und nach einem ersten Gespräch mit dem behandelnden Arzt, Dr. Emsad Puric, habe sie gewusst, dass sie diese Therapie machen wolle. Im Dezember sei sie dann ins Haus 25 eingetreten und habe sofort gespürt: «Jetzt wird alles gut.»

Noch selten habe er eine so topfitte 84-jährige Frau gesehen, erinnert sich Stephan Bodis, Chefarzt am Radio-Onkologie-Zentrum des KSA. Nach einer gründlichen Anamnese und diversen Tests hätten er und seine Kollegen die Kombi-Behandlung mit der sogenannten Tiefen-Hyperthermie in die Wege geleitet. Die Hyperthermie könne man sich wie eine gut einstündige Sauna für eine bestimmte Körperregion in einer mässig bequemen Hängematte vorstellen, beschreibt Bodis die Behandlung. «Dabei steigt die Körpertemperatur um bis zu 1,5 Grad an und der Tumorbereich wird mittels Mikrowellen gut kontrolliert auf 41 bis 43 Grad erhitzt.» Das mache die Krebszellen empfindlicher für die darauffolgende Bestrahlung und sorge für eine bessere Durchblutung des Gewebes.

Hauptsache, es nützt, wird sich Dora Meister gesagt haben. Eine Wellness-Kur sei es zwar nicht gewesen, meint sie. «Man muss schon etwas auf die Zähne beissen. Die Therapie hat an meinen Kräften gezehrt.» Doch dank der sehr guten und professionellen Betreuung im KSA habe sie nie den Mut aufgegeben. «Die Ärzte und MTA haben mir bis ins Detail erklärt, was mich erwartet, und ich konnte sie immer anrufen, wenn ich eine Frage hatte.» Und wie sieht es mit den Nebenwirkungen der Therapie aus? «Praktisch keine», sagt Meister. Einzig beim Essen müsse sie etwas aufpassen: Krautarten und Steinfrüchte vertrage sie gar nicht mehr.

«Ein kleines Wunder»

Neben Blasenkrebs können viele weitere Tumorarten mit der Hyperthermie behandelt werden. Neun Indikationen werden von den Krankenkassen seit Anfang 2017 vergütet (z. B. Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs). In der Regel sind die Patienten vorbestrahlt und/oder haben einen Tumor, der kaum erfolgversprechend operiert oder bestrahlt werden kann. Doch zurück zu Dora Meister. Mitte Juni 2019, die Behandlung war inzwischen abgeschlossen, wurde eine neue Bildgebung gemacht. «Wir waren hocherfreut», sagt Bodis. Der Tumor war komplett weg – und ist seither nicht mehr aufgetaucht. Für Meister ein kleines Wunder: «Ich bin unendlich dankbar, dass mich meine Ärzte auf diese Behandlung hingewiesen haben und dass ich weiterhin mit einer funktionierenden Blase leben kann.»

KSA Absender icon«Eine schonende Methode»

Prof. Dr. med. Stephan Bodis, Chefarzt Radio-Onkologie-Zentrum KSA/KSB, über die Vorzüge der Hyperthermie.

Stephan Bodis
Prof. Dr. med. Stephan Bodis, Chefarzt Radio-Onkologie-Zentrum KSA/KSB, über die Vorzüge der Hyperthermie.

Herr Bodis, obwohl die Hyperthermie zu den ältesten Krebstherapien gehört, gibt es nur wenige Spitäler, die diese Therapie anbieten. Weshalb?
Lange Zeit war die Hyperthermie unter Fachleuten sehr umstritten. Teilweise wurde sie sogar als Hokuspokus verschrien. Das hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren geändert.

Wie sind Sie auf die Hyperthermie gekommen?
Als ich vor 17 Jahren als Chefarzt der Radio-Onkologie ins KSA eingetreten bin, hat mir mein Vorgänger die Hyperthermie- Abteilung übergeben. Nach einer Anlernphase habe ich erkannt, dass wir diese Nischentherapie unbedingt weiterführen wollen.

Wie viele Patienten haben Sie seither behandelt?
Grob geschätzt seit 2007 gegen 400. Anfänglich einen bis zwei pro Monat; deutlich mehr, seit die Therapie vom Bundesamt für Gesundheit anerkannt ist, immer in Kombination mit einer lokalen Bestrahlung. Die Behandlungsmethode ist in den von uns angebotenen Indikationen mindestens so erfolgreich wie vergleichbare etablierte kombinierte Therapien.

Das tönt nicht besonders enthusiastisch.
Auf den ersten Blick mag das so aussehen. Aber der Patient kann bei einer Hyperthermie-Behandlung – im Gegensatz zu vielen operativen Methoden – das betroffene Organ behalten. Zudem hat die Behandlung nur wenige Nebenwirkungen und kann ambulant angeboten werden. Damit entfällt eine lange, teure Hospitalisation.

Wie geht es in Sachen Hyperthermie weiter?
Gegen Ende 2020 erwarten wir den Bericht des BAG, ob es weitere Indikationen für die kombinierte Bestrahlung mit Hyperthermie definitiv in den Leistungskatalog aufnimmt. Schon heute suchen wir weitere Verbündete, mit denen wir die Qualität der Behandlung in klinischen Studien vereinheitlichen und verbessern können. Ausserdem sind wir in Zusammenarbeit mit dem Paul-Scherrer-Institut am Forschen, ob die Hyperthermie auch mit einer Protonentherapie kombiniert werden kann.

Autor*in

Aargauer Zeitung