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Impfen statt fliegen!

Andreas W. Schmid, 12.07.2021
Helfende stehen im Impfzentrum des KSA im Einsatz. Auch Piloten und Cabin-Crew-Member, die die schwierigen Zeiten in der Luft mit einer sinnvollen Tätigkeit am Boden zu erleichtern versuchen.

Manchmal, da gerät Rebecca Stucki kurz in Turbulenzen. Dann spricht sie nicht von Patienten, sondern von Passagieren. Oder sie fragt die Menschen, die ihr gegenüberstehen, ob das ihr erster Flug sei. Normalerweise würde das ja auch stimmen, denn die Aargauerin aus Auenstein arbeitet als Flight Attendant bei der Swiss. Seit 15 Monaten, seit dem ersten Lockdown infolge der Covid-19-Pandemie, ist jedoch gar nichts mehr normal – und Rebecca Stucki nur noch sporadisch auf einem Flug im Einsatz. Stattdessen gehört sie derzeit mehrheitlich zum Bodenpersonal, allerdings nicht auf dem Flughafen Zürich, sondern im Impfzentrum des Kantonsspitals Aarau. Stucki ist eine von rund 180 Helferinnen und Helfern, die sich als Externe für eine Aufgabe im Impfzentrum des KSA oder Spitals Zofingen gemeldet haben. «Wir haben unter ihnen die verschiedensten Berufe», sagt Barbara Jakopp, Oberärztin und Leiterin des Impfzentrums, «von ehemaligen Pflegefachpersonen und Ärzten des KSA und des Spitals Zofingen über Serviceangestellte eines Restaurants bis eben zu Cabin-Crew-Member, aber auch Piloten sind hier alle an Bord.»

1600 bis 1900 Impfwillige pro Tag

Zwischen 1600 und 1900 Impfwillige werden täglich durch das temporäre Impfzentrum gelotst, was «eine komplexe Organisation» erfordert, wie Barbara Jakopp es nennt. «Damit alles reibungslos klappt, braucht es supermotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was hier absolut der Fall ist. Wir haben ein tolles Team!» Zur Impf-Crew, über die Jakopp in höchsten Tönen spricht, gehört auch Meinrad Schraner. Der gelernte Ingenieur aus Windisch sitzt seit rund sechs Jahren für die Swiss im Cockpit. Dabei kommt er auf Kurzstrecken zum Einsatz, «in einem Airbus 320», wie er stolz anmerkt. Seit März 2020 wurden die Flüge mit Einsetzen der ersten Welle immer weniger, sowohl Piloten als auch Cabin-Crew-Member gingen deshalb in Kurzarbeit. Schraner wollte sich mit seinem reduzierten Einsatzplan nicht einfach abfinden, sondern schaute sich nach einer sinnvollen Nebenbeschäftigung um – was ausdrücklich erlaubt ist – und stiess dabei auf das Impfzentrum des Kantonsspitals Aarau, wo Helferinnen und Helfer für verschiedene Tätigkeiten gesucht wurden. Der Swiss-Pilot ist seitdem meist in der Administration tätig, er stellt Impfnachweise aus und geht mit dem Computer von Kabine zu Kabine, um mit den Impfwilligen offene Fragen zu klären. Für ihn sind diese Gespräche mit den verschiedensten Menschen eine neue, zugleich aber auch sehr angenehme Erfahrung: «Als Pilot habe ich ja wenig Kontakt zu den Passagieren, da bleibt die Türe zum Cockpit während des Fluges geschlossen.» Zu Beginn, als mit dem Impfen begonnen wurde, seien viele ältere Personen gekommen, die Mühe mit dem Gehen gehabt hätten. Auch das Erfassen der Daten gestaltete sich langsamer, dafür Vertrugen sie die Impfung besser als die deutlich jüngere Klientel, die jetzt an der Reihe ist. Und sie sind und waren daher dankbar, dass man ihnen hilft und sie sich im Impfzentrum in guten Händen wissen. Paulina Spitzer hat bis jetzt ebenfalls nur gute Erfahrungen gemacht; sie steht im Ordnungsdienst im Einsatz und klärt die Patienten auf. Die Thurgauerin aus Schönenberg an der Thur ist seit fünf Jahren Mitglied der Cabin-Crew von Edelweiss. Als noch normal geflogen wurde, war sie sowohl auf Kurz- als auch auf Langstrecken unterwegs. Manchmal dauerte ein Einsatz, der sie zu einer fernen Destination führte, bis zu sieben Tage. Paulina Spitzer hat gerne mit Menschen zu tun, und da ist sie als Flugbegleiterin natürlich am richtigen Ort: «Ich weiss nicht, ob es noch eine andere Branche gibt, in der so viele verschiedene Kulturen und Sprachen zusammen kommen.» Auch im Impfzentrum Aarau hat sie spannende Begegnungen, sowohl mit den anderen Helferinnen und Helfern als auch mit den Impfpatienten. Sie erinnert sich an zwei Herren, die sie gleich am ersten Tag angesprochen hätten: «Gälled Sie, Sie sind Flight Attendant? Wir haben Sie auf dem Flug nach Hurghada gesehen, wir sassen auf 36 B und C.»

KSA_Flugzeugbesatzung

Den Menschen die Angst nehmen

Zu ihrem Nebenjob im Impfzentrum ist sie via Coople-App gekommen, «den Marktplatz für flexible Arbeit», auf dem Hilfspersonal fürs Impfzentrum gesucht wurde. Sie und Rebecca Stucki sehen durchaus Parallelen in den beiden Tätigkeiten.

«Wir haben immer wieder mit Menschen zu tun, denen wir die Angst nehmen müssen – oben vor dem Fliegen, hier unten vor der Spritze.»

Moana Masina aus Kriens, die vor eineinhalb Jahren als Cabin-Crew-Member bei der Swiss begann und als ausgebildete Fachfrau Gesundheit am Impfzentrum auch impfen darf, streicht hingegen vor allem einen Unterschied heraus: «Im Flieger ist die Stimmung gelöster. Viele haben die Ferien vor sich oder kehren erholt aus diesen zurück.» Im Impfzentrum wirkten die Menschen bedrückter. Auch sie versucht, den Menschen die Angst zu nehmen. Was ihre Zukunft und das Fliegen anbelangt, ist einiges noch ungewiss. Klar ist nur, dass Moana Masina ebenso wie Rebecca Stucki, Paulina Spitzer und Meinrad Schraner sich freuen würden, wenn sie die Crew-Uniform bald wieder häufiger anziehen könnten. «Nicht weil es uns hier nicht gefallen würde», sagt Rebecca Stucki, «sondern weil unsere Lust aufs Fliegen immer noch riesengross ist.»

Rund 180 externe Impfhelfer

Im Impfzentrum des KSA und Spitals Zofingen arbeiten als externe Arbeitskräfte nicht nur Mitglieder der Fluggesellschaften Swiss und Edelweiss, sondern aus ganz unterschiedlicher Herkunft; darunter solche aus den pandemiegebeutelten Branchen Gastronomie, Tourismus oder aus der Eventbranche, ebenso wie Mitarbeitende, die wegen Corona ihre Arbeitsstelle verloren haben, Pensionierte, Studierende, Schüler, Wiedereinsteigerinnen etc.

Aktuell stehen im Impfzentrum des KSA rund 130 Personen plus rund zehn Zivis und in Zofingen rund 50 Personen als externe Mitarbeitende im Einsatz.

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Freier Journalist und Inhaber der AWS Medien GmbH

Schreiben, was ist

"Wollte ich möglichst lange leben, müsste ich Bischof werden: Er führt die Altersrangliste unter den Berufsgruppen an." Lieber ist Andreas W. Schmid aber Journalist, obwohl dessen Lebenserwartung vergleichsweise gering ist. Es gilt deshalb, die Zeit sinnvoll zu nutzen – mit dem Schreiben von Texten, die hoffentlich die Welt bereichern: Interviews, Porträts, Glossen, Analysen, Recherchegeschichten und viele mehr.

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