Die heimlichen Lenkerinnen im Spital
Sie ziehen die Fäden im Hintergrund, sind die Schalt-, Organisations- und Kommunikationszentralen in ihren jeweiligen Bereichen, nicht selten die persönlichen Führungsberaterinnen ihrer Vorgesetzten und deshalb so etwas wie die heimlichen Lenkerinnen des Spitals.
Wenn man die Rollen, Funktionen und Aufgaben alle listen müsste, die eine einzige Chefarztsekretärin, Bereichsleitungs- oder Direktionsassistentin in der Regel heutzutage einnehmen und ausfüllen muss, kommt in den meisten Fällen eine ganze Mannschaft zusammen respektive ein ganzes Team. Kein Wunder sind ihre Dienste so begehrt. Etwas verwunderlich dafür, warum sie so selten in der ersten Reihe zu sehen sind und immer ein wenig im Hintergrund agieren, wo sie doch quasi einen halben Führungsstab personifizieren. Und – wenn wir respektive ihre Chefs und Chefinnen ehrlich sind – ohne sie eigentlich (fast) gar nichts geht. Dass sie den Ruf der insgeheimen oder heimlichen Lenkerinnen und Chefinnen begleitet, ist deswegen schon berechtigt, und jeder Chef oder Chefin, der eine solche Person an seiner Seite hat – so ist zu hoffen – weiss um die zentrale Bedeutung ihrer Position.
«Jeder Arbeitstag verläuft meist anders als geplant.»
Ein Job mit hundert Hüten
Sie sind nämlich in ihren Kliniken, Bereichen oder Abteilungen meist gleichzeitig Organisatorinnen, Kommunikatorinnen, Führungscoachs, Beraterinnen, Event-Managerinnen, Strippenzieherinnen, Networkerinnen, Diplomatinnen, Blitzableiterinnen, Feuerlöscherinnen, Psychologinnen, Seelsorgerinnen, allgemeine Auskunftsstelle, Personal Trainerinnen, kurzum die gute Seele und eigentlich «Mädchen» für alles und jeden, manchmal zusätzlich noch Mode- oder Ernährungsberaterin und ab und an auch Floristin oder Service-Angestellte auf Zeit.
«Überall gleichzeitig zu sein und allen gerecht zu werden, ist die grösste Herausforderung.»
Fügt man dann noch eine Liste mit den herausragenden oder besonderen Eigenschaften an, über die Chefarztsekretärinnen respektive Assistentinnen verfügen sollten, um ihre facettenreiche und multiple Arbeit meistern zu können, glaubt man definitiv, es mit Übermenschen zu tun zu haben – besser gesagt mit Überfrauen. Denn Männer finden sich in dieser Berufssparte keine, zumindest unter den über 50 Personen, die im KSA in einer dieser Funktionen tätig sind. Warum das so ist, davon später. Empathisch, weitsichtig, loyal, belastbar und verschwiegen sollen sie sein, diskret, flexibel, vertrauenswürdig, offen, proaktiv, vernetzt, gut organisiert, kommunikativ, selbstständig und selbstbewusst. Die Liste der positiv besetzten Attribute nimmt kein Ende. Fest steht: Auch Assistentinnen und/oder Chefarztsekretärinnen sind am Ende keine Übermenschen, sprich Überfrauen, und jede Einzelne unter ihnen auch mit Schwächen ausgestattet. Dass dabei die Ungeduld bei den meisten als häufigst genannte Schwäche auftaucht, beweist hingegen wiederum nur, mit welchem Tempo und Ehrgeiz die meisten von ihnen unterwegs sind.
«Die Terminfindung ist genauso schwer, wie Lotto-Millionärin zu werden.»
Unterschiedliche Rollenausgestaltung
Konkret variieren im KSA in den einzelnen Kliniken, Instituten und Bereichen im KSA die Aufgaben und Rollen, welche die jeweiligen Assistentinnen und Chefarztsekretärinnen wahrnehmen, ebenso wie die Kompetenzen, die sie in Teilbereichen besitzen. Doch eine Drehscheibenfunktion nehmen alle ein und multiple Rollen müssen alle erfüllen. Die jeweilige Ausgestaltung der Position steht und fällt natürlich mit dem Führungsverständnis des jeweiligen Chefarztes (Chefärztin) oder Bereichsleiters ebenso wie mit dem Vertrauensverhältnis zwischen Chef und Assistentin/ Chefsekretärin und der jeweilig vorherrschenden betriebs- oder klinikinternen Kultur. «Im KSA reicht die Bandbreite der Zusammenarbeit zwischen Chef und Assistenz von einem eher traditionellen Verständnis, bei dem die Assistentin/Chefarztsekretärin lediglich ausführende Kraft und Sprechstundenorganisatorin und -administratorin ist, bis hin zur kompletten Delegation von bestimmten Managementaufgaben innerhalb des Klinikbetriebs», erklärt Gabi Gubler, Chefarztsekretärin in der Klinik für Plastische und Chirurgie der peripheren Nerven, und eine von drei Mitgliedern im Organisationskomitee des KSA-internen Netzwerks der Sekretärinnen und Assistentinnen SAN (vgl. Box).
Das KSA-interne Sekretärinnen- und Assistentinnen-Netzwerk SAN ist auf Initiative der ehemaligen CEO-Assistentin Marietta Fischer 2008 gegründet worden. Ziel der Vereinigung war die spitalweite Vernetzung aller im Spital tätigen Chefsekretärinnen und Bereichsassistentinnen, auch im Hinblick auf die zunehmende bereichsübergreifende interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie der zunehmenden Vereinheitlichung sämtlicher spitalweiter Prozesse. SAN bietet die Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch, zur Vertiefung der spitalinternen Zusammenhänge und gegenseitige Hilfestellungen, insbesondere für Personen, die neu als Assistentin oder Chefarztsekretärin im KSA an den Start gehen. Die Teilnahme an den vier- bis sechsmal im Jahr stattfindenden Treffen ist freiwillig, aber äusserst lohnenswert. Rund 50 Assistentinnen und Chefarztsekretärinnen werden dazu jeweils eingeladen. Nebst Behandlung diverser Traktanden werden zu den Treffen auch interne Referentinnen und Referenten aus den unterschiedlichsten Bereichen des KSA zu spitalspezifischen Themen eingeladen.
«Eine gute Vernetzung ist das A und O in unserem Job.»
Die Chefarztsekretärinnen
Für die Tätigkeit einer Chefarztsekretärin ist ein medizinischer Hintergrund, sei es über eine Ausbildung im Pflegebereich, als Pharma-Assistentin oder Medizinische Praxisassistentin oder eine längere Tätigkeit als Arztsekretärin natürlich Voraussetzung, das Aneignen der medizinischen Terminologie im jeweiligen Fachbereich zwingend, auch wenn die Sprechstundenorganisation oder das Schreiben von Arztberichten längst nicht überall mehr zum Kerngeschäft einer Chefarztsekretärin gehört. In den meisten Kliniken gehören die Leitung des Sekretariats und die Führung des gesamten nichtärztlichen Personals zu ihren Kernaufgaben. Fabienne Hochuli, ebenfalls Mitglied im OK des internen Sekretärinnen- und Assistentinnen-Netzwerks, zum Beispiel führt und plant das gesamte nichtärztliche Personal im Sekretariat inklusive Rekrutierung im ambulanten Bereich der Klinik für Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus managen sie oft die internen Prozesse, entwickeln diese weiter, und nicht selten bilden sie gemeinsam mit der Klinikleitung ein Führungsteam, coachen und beraten den Klinikleiter bei Entscheidungen und sind damit aktive Mitgestalterinnen des Klinikalltags. Last but not least sind sie die grossen Terminkalenderverwalterinnen für sämtliche internen, bereichsübergreifenden sowie externen Sitzungen und Gespräche ihrer Vorgesetzten oder des internen Leitungsteams.
«Die grösste Herausforderung ist, den Überblick nicht zu verlieren.»
Zentral für sämtliche Chefarztsekretärinnenpositionen ist: den klinikinternen Betrieb so zu managen, dass das ärztliche Personal seinem Kerngeschäft, der medizinischen Tätigkeit am Patienten, möglichst ungestört nachgehen kann. «Eine unserer Hauptaufgaben ist es, im Klinikbetrieb dafür zu sorgen, dass die Ärztinnen und Ärzte an der Front den Rücken frei haben für ihre Arbeit», sagt Gabi Gubler. Wie viele Freiheiten sie dafür bekommen, hängt vom jeweiligen Verhältnis zwischen Chefarzt und Chefarztsekretärin ab, meist eine Frage des Vertrauens.
Enge persönliche Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit mit einem Chefarzt oder einer Chefärztin ist sehr eng. Die persönliche Chemie zwischen beiden muss stimmen. Ein Chefarzt/Chefärztin oder Vorgesetzter muss sich seiner Sekretärin oder Assistentin anvertrauen können, manchmal auch in schwierigen oder heiklen Angelegenheiten, die Verschwiegenheit und Diskretion erfordern. Führen ist oft ein einsames Geschäft und Vorgesetzte sind auch nur Menschen. Das erfordert oft viel psychologisches Feingefühl und Einfühlsamkeit und in manchen Situtationen auch starke Nerven oder ein dickes Fell. Alle befragten Assistentinnen oder Sekretärinnen sind sich bewusst, dass sie zwischendurch auch mal als Mülleimer oder Blitzableiter herhalten müssen. Auch das gehört zum Job.
«Mein Ziel muss es sein, die Klinik nach vorne zu bringen.»
Andererseits sind sie die zentrale Anlaufstelle für Fragen und Auskünfte jeglicher Art, fühlen den Puls und die Stimmung im Team und wissen um das richtige Timing, wann ein Anliegen, ein Wunsch, ein internes Thema oder ein Problem angesprochen oder angegangen werden kann. «Es sind vor allem, die sogenannten Soft-Skills, also die persönlichen, sozialen und methodischen Kompetenzen, die eine Chefarztsekretärin oder Assistentin beherrschen muss», sagt Gabi Gubler.
Die Bereichs- und Direktionsassistentinnen
Auf Geschäftsleitungsebene, in den Departementen Betrieb sowie Finanzen ebenso wie im Departement Pflege &MTTD liegt der Schwerpunkt der Assistenzarbeit ein wenig anders. Hier stehen Terminverwaltung, Protokollführung, Event- oder Sitzungsorganisation, Beratungs- und Coachingtätigkeiten und insbesondere interne, externe wie auch abteilungsübergreifende kommunikative Dienstleistungen und Schnittstellenfunktionen, das Abteilungs- resp. Bereichsmanagement sowie die spitalweite Netzwerkpflege und auch eigene Projekte mehr im Vordergrund. Was die Soft-Skills betrifft, die auch hier gefragt sind, unterscheiden sich die meist als Direktionsassistentinnen ausgebildeten Assistentinnen nicht von ihren Kolleginnen der Chefarztsekretariate. Lediglich der medizinische Hintergrund, die Dienstleistungfunktion zugunsten des ärztlichen Kerngeschäfts, entfällt hier.
Die Ausbildungswege
Die Funktion der Chefarztsekretärin oder diejenige der Bereichs- oder Direktionsassistentin erfordert keine exakt definierte berufliche Vorbildung. Eine entsprechende Schulbildung, eine weiterführende Weiterbildung und Berufserfahrung ja, aber die möglichen Wege,eine solche Position zu erreichen, sind vielfältig. Selbst eine berufsbegleitende Weiterbildung zur Chefarztsekretärin oder zur Direktionsassistentin ist nicht zwingend erforderlich, auch wenn viele heute diesen Weg beschreiten. Ein Blick auf die Werdegänge der hier im KSA tätigen Chefarztsekretärinnen, der Bereichs- und Direktionsassistentinnen (vgl. Seiten 6–12), zeigt, wie unterschiedlich die beruflichen Entwicklungen verlaufen können. Gemeinsam ist allen, sich an einem Punkt ihrer beruflichen Karriere, sei es als Pflegende, als Pharma-Assistentin, als Arztsekretärin oder nach einer KV-Lehre und entsprechender Berufserfahrung, für mehr Verantwortung entschieden zu haben. Welche weiterführende Fortbildungen sie dann wählen, ob CAS oder die Chefarztsekretärinnenausbildung oder etwas Vergleichbares, die von zahlreichen Institutionen in der Schweiz oder auch im Ausland angeboten werden, ist sehr unterschiedlich. Anspruchsvoll sind sie alle. Wer beispielsweise die eidg. Prüfung zur Direktionsassistentin absolviert und besteht, wäre auf jeden Fall in der Lage, ein kleineres Unternehmen selbst zu führen.
Ein Berufsbild im Wandel
Auch wenn sich in vielen Köpfen nach wie vor das Bild der netten, manchmal gestrengen, aber immer freundlichen Vorzeige- und Vorzimmerdame hält, sind die Zeiten, in denen Chefsekretärinnen ihren Vorgesetzten stets und allzeit zu Diensten bereit waren, den Kaffee am Morgen servierten und ansonsten die an sie delegierten Arbeiten als reine Erfüllungsgehilfinnen erledigten, eigentlich vorbei. Ausnahmen halten sich zwar hartnäckig, werden aber immer seltener. Die moderne Chefarztsekretärin oder Direktionsassistentin agiert heute auf Augenhöhe mit ihrem Vorgesetzten oder ihrer Vorgesetzten, bildet so etwas wie einen «Sparring-Partner», wie das Direktionsassistentin Susanne Müller, Assistentin Departement Betrieb, nennt. Sie coacht, berät und gestaltet die innerbetrieblichen Prozesse mit. Sie führt mit, zieht administrativ und organisatorisch die Fäden im Hintergrund und hält mit geschicktem Einsatz ihrer Soft-Skills den Klinikbetrieb, den Bereich oder die Abteilung auf Kurs.
«Du musst eigentlich deinem Chef immer einen Schritt voraus sein.»
Viele unter den Assistentinnen und Chefarztsekretärinnen waren und sind auch Treiber des digitalen Wandels, der in den vergangenen 10 bis 20 Jahren in allen Bereichen Einzug gehalten hat. Viele Prozesse, insbesondere im administrativen und organisatorischen Bereich, wurden in den vergangenen Jahren digitalisiert. Nicht selten waren es jüngere Assistentinnen oder Chefarztsekretärinnen, welche diese Prozesse in den teilweise noch veralteten Strukturen ihrer Kliniken oder Abteilungen vorangetrieben haben, oder aber Personen wie beispielsweise Gabi Gubler, die ihr Handwerk noch auf einer mechanischen Schreibmaschine erlernt hat und sich von Anfang an dem elektronischen Wandel gegenüber offen gezeigt hat. Diese Bereitschaft wird auch zukünftig notwendig sein. Auf Chefarzt- und Direktionsstufe findet derzeit auch im KSA ein Generationenwechsel statt. Dies wird das Verhältnis zwischen Führungskraft und Assistenz weiter verändern in Richtung «Leadership as Partnership».
Ein Frauenberuf
Bleibt die Frage, warum der Beruf der Führungsassistentin oder der Chefsekretärin nach wie vor fast ausschliesslich von Frauen ausgeübt wird. Gabi Gubler meint dazu: «Bei allem Wandel in unserem Beruf ist doch ein Grundsatz geblieben. Als Sekretärin, als Chefarztsekretärin oder Assistentin bleibt ‹das Dienen› ein Teil deines Jobs. Man muss sich unterordnen, in den Dienst von etwas stellen, und das können Frauen einfach besser, ohne sich deswegen als etwas Schlechteres zu fühlen.» Susanne Müller sagt es etwas anders: «Frauen denken generell ganzheitlicher, sind mehr auf den Erfolg des grossen und gemeinschaftlich Ganzen ausgerichtet. Das prädestiniert sie für diese Art der Arbeit.» Fakt ist: Auch am KSA sind mit Ausnahme vielleicht im Bereich der Pflege und MTTD mehrheitlich Männer in Führungspositionen. Doch Fakt ist aber auch, dass ihre ausschliesslich weiblichen Assistentinnen und Chefsekretärinnen an der Führungsgestaltung einen wesentlichen Anteil haben, das wird oft vergessen.
«Ich habe immer ein offenes Ohr und eine offene Türe für alle.»