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Nachtschicht - KSA by Night

Ralph Schröder, 03.03.2020
Spitalarbeit bedeutet für die meisten auch Nachtarbeit. Dieser Aspekt der Arbeit wird selten beleuchtet. Grund genug, einmal selbst eine Nachtschicht einzulegen. Eine eindrückliche Nacht im Spital.

Die Zeiten, in denen ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen habe, also wach geblieben bin, um zu arbeiten oder – was ich früher auch mal gemacht habe – um bis in die Morgenstunden zu feiern, sind eigentlich vorbei. Vielleicht mal bis spät in die Nacht hinein über ein Thema brüten, was ich am nächsten Tag in einem Text oder Artikel verarbeiten möchte, ja, aber arbeiten würde ich das dann doch nicht nennen. Für einen Grossteil unserer Spitalmitarbeitenden, für die Pflegenden und die Ärzteschaft insbesondere, aber auch für andere Berufsgruppen wie z. B. den Sicherheitsdienst oder den Patiententransport, gehört die Nachtzeit jedoch einmal und manchmal auch mehrmals im Monat zur Arbeitszeit. Das wird oft vergessen, zumindest von den tagsüber Arbeitenden. Die Nacht verschwindet gerne aus unserem Bewusstsein. Doch ein Spital wie das KSA ist ein 24-Stunden-Betrieb, die stationären Patientinnen und Patienten auf sämtlichen Stationen wollen rund um die Uhr versorgt sein, der Notfall ist rund um die Uhr geöffnet, es wird auch nachts operiert und Kinder kommen zu jeder Tageszeit zur Welt, und das bedeutet: Im Spital wird auch die Nacht zum Tage.

Eine Nacht lang durchhalten
Um diesen nicht unwesentlichen Aspekt der Spitalarbeit einmal zu beleuchten, war mir klar: Du musst selbst einmal eine Nacht im Spital durchwachen und auf Beobachtungstour gehen. Es reicht nicht aufzuzählen, wer und welche Abteilungen und Stationen alles Nachtarbeit verrichten, du musst es live miterleben und zumindest einmal körperlich erfahren, was es heisst, in der Nacht so lange auf den Beinen zu sein. Dass es dann vor allem der Kopf war, der am Ende seine Mühe bekundete und um vier Uhr nachts plötzlich nicht mehr so genau wusste, was zuvor alles gegangen war, hat mich dann am meisten erstaunt und meinen Respekt vor all denen, die unter Nachtbedingungen konzentrierte Arbeit abliefern oder notfalls einen sauberen Schnitt mit dem Skalpell unter dem Mikroskop hinbekommen müssen, noch grösser werden lassen.
Ich muss gestehen, ich habe das Projekt Monat für Monat vor mich hergeschoben. Auch weil mir nicht ganz klar war, wie ich mich vorbereiten soll. So ein Tag-Nacht-Wechsel will ja geplant sein. Und natürlich musste ich meine Absicht, in der Nacht als Beobachter über alle Stationen und Abteilungen zu laufen, allen Verantwortlichen ankündigen, um niemandem einen Schreck einzujagen, wenn ich plötzlich mitten in der Nacht irgendwo auftauche. Dass es reiner Zufall gewesen sei, dass ich ausgerechnet in der Halloween-Nacht meine Nachtschicht absolviere, haben mir dann dennoch nicht alle geglaubt. Erschreckt habe ich aber niemanden, höchstens überrascht, weil trotz Ankündigung, dass ich unterwegs sein werde, niemand genau wusste, wann ich auftauche.

In der Nacht herrscht sowohl auf dem Spitalareal als auch in den Innenräumen eine geheimnisvolle Atmosphäre.

Ralph Schröder

Geheimnisvolle Nachtatmosphäre
Schon die Anfahrt nach Aarau spät abends um 21.45 Uhr fühlte sich irgendwie merkwürdig an. Obwohl es mir gelungen war, am Nachmittag knapp 3 Stunden vorzuschlafen, war die Vorstellung, dass der Tag demnächst nicht zu Ende ist, sondern andauert, irgendwie nicht real. Die nächtliche Atmosphäre auf dem Spitalareal trug das Ihrige zu diesem Eindruck bei. Die Spitalgebäude mit ihren vereinzelt oder stockwerkweise erleuchteten Fensterreihen ragen aus dem Dunkel, die Wegbeleuchtungslampen auf dem Areal werfen ihre Lichtkegel auf den Boden, tauchen vereinzelt Baumkronen ins Licht oder fluten kleine Flächen des Rasens, die Gebäudeeingänge hell erleuchtet, alles andere wird verschluckt von einer schummrigen Dunkelheit. Stille herrscht und nichts deutete vorerst daraufhin, dass hier Menschen arbeiten, schlafen oder auf eine Behandlung warten.
Dann auf dem Notfall, wo ich zum Schichtwechsel meine Nachtrunde startete, erste und deutliche Zeichen von Betriebsamkeit. Ein Rettungswagen stand vor dem Eingang des Notfalls, zwei Rettungssanitäter luden einen Patienten auf der Rettungsliege aus dem Wagen und fuhren ihn behutsam in die Behandlungszone. Mit gebührendem Abstand schliesse ich auf, hinter mir ein Mann mittleren Alters, der gestützt auf dem Arm einer Frau und mit schmerzverzerrtem Gesicht den Notfall betritt. Ein Blick seitlich in die sitzende Wartezone im Notfall verrät: es herrscht Hochbetrieb. Im Pflegebereicsh hinten im Notfall hektisches Treiben. Der Spätdienst übergibt dem Nachtdienst, vor dem Dashboard wird rapportiert, wer übernimmt welchen Patienten in welchem Behandlungszimmer. Ich laufe ein paar Mal den Gang auf und ab und habe so etwas wie ein Déja-vu, als mir die beiden Sicherheitskräfte in Uniform entgegenkommen. Ein schwerst alkoholisierter Mann macht in einem der Zimmer Schwierigkeiten, schlägt um sich. Mein letztjähriger Einsatz auf dem Notfall fällt mir ein. Die Szene, die ich erlebe, kommt mir bekannt vor.

Schmerzen kennen keine Ruhezeiten
Bei dieser Betriebsamkeit hat natürlich niemand wirklich Zeit für mich, um ein paar Worte zu wechseln. Soeben ist die Nachricht eingetroffen, dass der Schockraum vorbereitet werden muss. Ein Patient oder eine Patientin mit Verdacht auf eine Subarachnoidalblutung, also einer Blutung aufgrund eines Aneurysma-Risses im Gehirn wird erwartet. Alarmstufe rot. Es muss schnell gehen. Das Angebot, bei der Untersuchung und Einleitung der Behandlung mit dabei zu sein, schlage ich jedoch aus, nicht weil es mich nicht interessiert, sondern weil die Nacht noch lang ist und ich mit meiner Runde erst begonnen habe. Doch klar ist bereits jetzt: Auf dem Notfall gibt es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Krankheits- oder Unfallereignisse kennen keine Tages- oder Nachtzeit, die innere Uhr des Körpers richtet sich nicht nach dem Rhythmus des Schlafens und Wachens. Schmerzen kennen keine Ruhezeiten. Das Notfallprogramm im OP sei ziemlich voll, erfahre ich, als ich gefragt werde, wohin mich heute meine Nachttour überallhin führen werde, und ich auch die Operationsabteilung erwähne, die ich später besuchen will.
Aber zunächst beschloss ich, einen ersten Besuch auf einer Station zu machen. Auf dem Weg Richtung Haus 4 begegne ich weiteren Personen, einer Familie mit einem Kind auf dem Arm, die sich besorgt Richtung Notfall bewegt. Das nächtliche Dunkel verleiht solchem Anblick eine gewisse Dramatik. Nur die Dringlichkeit, die Angst und Sorge, denke ich, treibt dich nachts aus dem Haus und in ein Spital. Vor Haus 4 dann entdecke ich einen Polizeiwagen, vor dem Wagen einen Polizisten, der telefoniert und mich kritisch mustert, als er bemerkt, dass ich das Haus betreten will. Ein Glück, denke ich mir, dass ich mich entschieden hatte, für meine Nachtrunde die Berufskleidung des Freiwilligendienstes anzuziehen. Der Personalbadge, mit dem ich mir Zutritt zum Haus verschaffte, schien aber die Zweifel, ob ich zum Spitalpersonal gehöre oder nicht, endgültig zu beseitigen.

Trügerische Ruhe auf den Stationen
Auf dem Flur im vierten Stock auf Station 441 dann nichts als Dunkelheit, in einiger Entfernung einige Notlichter, lediglich zwischen den Lamellen der Jalousie, die das grosse Fenster des Stationszimmers verdeckt, dringt spärliches Licht auf den Flur, das auf einen innen hell erleuchteten Raum schliessen lässt. Die Tür zum Stationszimmer geschlossen. Ich klopfe zaghaft und warte, bis sich die Tür öffnet und mich zwei überrascht wirkende Pflegefachfrauen anschauen, bis sie realisieren, dass ich es bin. «Ja, klar wissen wir, wer du bist und dass du vielleicht vorbeischauen würdest, wir wussten nur nicht wann.» Wir sprechen über die Nachtarbeit in der Pflege. Natürlich sei die Umstellung jeweils nicht einfach, aber die Nachtarbeit habe auch Vorteile. Die Hektik des Tages falle weg, die vielen Anrufe, Visiten, keine Angehörigen und Besucher auf der Station. «Du kannst dich voll auf deine Arbeit in der Pflege konzentrieren.» Heute sei es zwar ruhig auf der Station, aber es gebe auch Nächte, in denen man alle Hände voll zu tun habe, kontinuierlich Patienten die Glocke läuten, Schmerzen, Durst, Angst, Nicht-schlafen-Können usw.
Auf Station 221 im Privatbettenhaus, nur unweit von Haus 4 entfernt, die gleiche nächtliche Atmosphäre, die Geräusche gedämpft, man hört die Schritte auf den Gängen. Die beiden Pflegefachfrauen im Nachtdienst befinden sich auf ihrer ersten Runde. Eine von beiden ist eine sogenannte «SpringerNachtwache». Auf vielen Stationen ist nur eine dipl. Pflegefachfrau fix auf einer Station eingeteilt. Die «Springerin» wechselt jeweils die Station, wenn viel los oder Not an der Frau ist, sie ist telefonisch abrufbar. In der Regel teilen sich zwei benachbarte oder übereinanderliegende Stationen eine Springerin oder einen Springer, manchmal ist aber auch ein Hauswechsel mitten in der Nacht möglich. Im Stationszimmer 221 entdecke ich dann plötzlich noch eine dritte Pflegefachfrau, vor einem Computer sitzend. Es ist schon kurz vor 24.00 Uhr. «Ich bin noch aus dem Spätdienst da und erledige in Ruhe meine administrativen Arbeiten», erklärt sie mir. Spätdienst ist ein dehnbarer Begriff, denke ich für mich.
Wieder durch die Nacht am Erwachsenennotfall vorbeilaufend, wo nach wie vor viel Betrieb zu herrschen scheint, sehe ich einen Rettungswagen Richtung Kindernotfall fahren. Ich folge dem Wagen in raschen Schritten und sehe, wie unten beim Kindernotfall eine Isolette aus dem Fahrzeug entladen wird. Im Kindernotfall dann die Entwarnung von Seiten der beiden hier Nachtdienst habenden Pflegefachkräften. Die Rettung hatte lediglich eine heute in Gebrauch gestandene Isolette zurückgebracht. Auf dem Kindernotfall ist es heute im Gegensatz zu den Erwachsenen eher ruhig. Lediglich zwei Kinder wurden bisher vorbeigebracht, beide voraussichtlich mit Verdacht auf Pseudokrupp, Hustenanfall, Atemnot, die Situation aber aktuell entspannt. Einziges Problem und aktuelles Gesprächsthema: Die Kinderklinik ist voll belegt. Käme jetzt ein Notfall, der einen stationären Aufenthalt nach sich zöge, müsste die Möglichkeit von Überbetten, im schlimmsten Fall gar eine Verlegung in ein anderes Spital in Erwägung gezogen werden.

Nachts in der Telefonzentrale
Unweit vom Kindernotfall befindet sich Haus 31, wo auch die Telefonzentrale des KSA des Nachts besetzt ist, wie ich gleich bestätigt bekomme, weil ich nämlich die 4141 wählen musste, um Einlass ins Haus zu bekommen. «Klopf ans Fenster des Nachtschalters gleich um die Ecke und ich komme dich holen», sagt mir Lucia Hauri, die in dieser Nacht Telefondienst hat. Sie ist ganz allein im Gebäude. Daran musste sie sich zuerst gewöhnen. Ein wenig unheimlich sei es schon, aber sie fühle sich sicher, kann jederzeit den Sicherheitsdienst rufen, und von aussen sehe kein Mensch, dass hier jemand arbeite. In der Nacht könne das Telefon schon mal heiss laufen, sagt Lucia, gerade heute, wo so viel auf dem Notfall los sei. Die Telefonistinnen sehen auf ihrem Display, wer im Notfall von wem behandelt wird und können so jederzeit vermitteln, wenn Angehörige in Sorge anrufen. Vieles sind auch interne Vermittlungen. Stationen, die Ärzte suchen zum Beispiel. Wie die Stimmung auf den Stationen sei, höre sie jeweils bereits an der Tonlage, verrät mir Lucia. In der Nacht sind bestimmte Sinne geschärft, das merke auch ich. Die Ohren sind anders gespitzt, wenn du allein durch leere Gänge schreitest oder übers Areal gehst, das in eine geheimnisvolle Stille eingehüllt scheint.
Auf der voll besetzten medizinischen Intensivstation empfangen mich danach die vier hier Nachtdienst habenden Expertinnen der Intensivpflege. Der Personalschlüssel ist hier auch in der Nacht höher als auf den anderen Stationen. Gedämpftes Licht in der grossen Überwachungszentrale vor den abgedunkelten Intensivzimmern, leuchtende und blinkende Apparaturen und Monitore beherrschen hier die nächtliche Szenerie. Ich beginne automatisch leise zu sprechen. Die Ehrfurcht und mein Respekt vor den hier untergebrachten Patienten, aber auch vor den Mitarbeitenden ist noch grösser als sonstwo. Die Grenze zwischen Leben und Tod, sie scheint hier, verstärkt durch die nächtliche Atmosphäre, förmlich spürbar.
Auch in der Labormedizin wird rund um die Uhr gearbeitet, wie ich mich bei meinem nächtlichen Besuch bei Blazica Ivanovic (Hämatologie) und Lisa Winder (Chemie) vergewissern konnte. Der Notfall ist natürlich «Hauptlieferant» für Proben, Bluttests auf Alkohol z. B. gehören zu den Häufigen in der Nacht. Aber neben den Analysen werden in der Nacht auch viele Wartungsarbeiten an den vollautomatisierten Geräten durchgeführt, erklären mir die beiden. Zwischen all den Geräten wirken die beiden fast ein wenig verloren, aber gut dass man hier in der Nacht zu zweit arbeiten kann, denke ich mir.

Auch in der Nacht wird operiert
Es ist jetzt schon nach 1.00 Uhr in der Nacht. Ich bereite mich auf meinen Besuch in den OP-Sälen vor, ziehe mich um und bin gespannt, was mich hier um diese Zeit erwartet. Das Notfallprogramm im OP sei heute dicht, hatte man mir bereits auf dem Notfall angekündigt. Und tatsächlich, in einem der Säle findet während meines Besuchs gerade eine OP statt. Im Aufenthaltsraum der OP-Abteilung, wo mich ein aufgestelltes und putzmunteres Anästhesiepflegeteam und zwei Technische OP-Assistent/innen (TOA), die gerade Verpflegungsspause machen, freundlich empfangen, erklärt man mir dann, was Notfallprogramm um diese Zeit eigentlich heisst. In den Abendstunden und in der Nacht werden ausschliesslich dringliche Operationen durchgeführt. Der Dringlichkeitsgrad wird dabei in vier Stufen eingeteilt. Die Planung dieses Notfallprogramms ist jedoch rollend. Es kann jederzeit zu Verschiebungen kommen. Wird im Notfall eine Operation mit hoher Dringlichkeit 1 Rettungssanität vor dem Kindernotfall. 2 Nachtdienst in der Labormedizin. 3 Auf der Pflegestation 221. 4 Anästhesiepflege- und TOA-Team im OP-Aufenthaltsraum. 5 Notfall-Pflege-Desk. 6 Mit dem Sicherheitsdienst auf Stationstour. 7 Auf der medizinischen Intensivstation. 8 Haus 1 Südfassade bei Nacht. 10 | Fokus KSA by Night angemeldet, kann sich eine Operation mit weniger hoher Dringlichkeit im Notfallprogramm nach hinten bis in die Nacht verschieben. So geschehen in dem Fall, den ich um ca 1.15 Uhr beobachten konnte: Die ursprünglich im Notprogramm für den Abend geplante Blinddarmoperation konnte erst jetzt durchgeführt werden.
Neben den chirurgischen Teams arbeiten jeweils ein Anästhesie-Oberarzt/-ärztin, zwei Anästhesieassistenzärzt/innen und drei Anästhesiepflegeexpert/innen sowie vier TOA in der Nacht, hinzu kommen zwei Lagerungspfleger/innen. Ein Anästhesieteam muss sich dabei jederzeit für eine Notoperation oder einen Einsatz im Schockraum bereithalten. Auch ein Ruf in die Säle der Frauenklinik, für eine Periduralanästhesie oder eine Sectio kann jederzeit erfolgen.

Haus 22 bei Nacht
Die Nacht zaubert besondere Atmosphären. Im Bild: Das im leichten Dunst liegende Direktionsgebäude (Haus 22) an einem Herbstmorgen gegen 5.30 Uhr.

Geburtlose Nacht
Mit Geburten ist es aber in dieser Nacht nicht weit her, wie mir die drei Nachtdienst leistenden Hebammen bei meinem anschliessenden Besuch auf der Gebärabteilung mitteilen. Es scheint wie verhext zu sein. Schon bei meinem Jobpraktikum vor rund einem Jahr auf der Geburtshilfe wollte während meines Einsatzes kein Kind auf die Welt kommen. Eine Sectio am frühen Abend war das Einzige, was bisher an «Zählbarem» aus der Geburtsabteilung zu vermelden war. Es ist zum Zeitpunkt meines Besuches 2.30 Uhr, und es sah nicht danach aus, dass bis zum Ende meiner Nachtschicht sich an der «kinderlosen» Situation etwas ändern sollte. Dass es wie auf den Pflegestationen auch Hebammen gibt, die Dauernachtdienst machen, also nur in der Nacht arbeiten, nehme ich als Information mit, bevor ich der Privatstation 821 der Frauenklinik ein Stockwerk höher einen Besuch abstatte und mir den dort angebotenen Kaffee noch so gerne servieren lasse. Ich spüre, wie mich die Müdigkeit langsam einzuholen beginnt und mein Kopf sich anstrengen muss, um aufnahmefähig zu bleiben. Auch hier arbeitet heute eine Dauernachtwache, assistiert von einer «Springerin». Beide bestätigen sie mir den Eindruck, den ich auf allen Stationen bisher bekommen habe: Die Nachtarbeit ist zwar aufgrund des ungewöhnlichen Wach-Schlafrhythmus körperlich anstrengend, bietet aber auch Vorteile, die viele schätzen. Das ruhigere Arbeiten, aber auch die Tatsache, dass auf den Nachtdienst in der Regel jeweils längere Zeiträume an Frei-Tagen folgen, was auch andere Gestaltungsmöglichkeiten fürs Privatlebens eröffnet.

Sicherheitsrunde auf allen Stationen
Als ich erneut aufbreche und Richtung Haus 7 laufe, spüre ich zum ersten Mal die Kälte. Trotz der Süssigkeiten, die ich jeweils auf den Stationen angeboten bekam und auch vertilgt habe – es ist auffallend, dass sich viele Nachtdienstler offenbar mit Schleckereien die Nacht versüssen – scheine ich etwas unterzuckert zu sein. Auf dem Weg draussen, es ist jetzt 3.30 Uhr, treffe ich zufällig Benyam Biton vom Sicherheitsdienst, der seine obligate Runde auf dem Areal und auf den Stationen macht. «Es gehört auch zu unseren Aufgaben in der Nacht, alle Stationen wenn möglich zweimal zu besuchen», erklärt mir Beny. Es könnte auch einmal jemandem vom Pflegepersonal etwas zustossen. Die Kontrollrunde des Sicherheitsdienstes dient auch diesem Zweck. Ich schliesse mich Beny an, und wir besuchen gemeinsam sämtliche Stationen im Haus 7, von oben nach unten. Alles ruhig, lautet überall der Tenor. Und ich stelle fest: Der Hunger scheint sich um diese Zeit fast überall zu melden. Fast auf jeder Station in Haus 7 treffe ich Pflegepersonal, das sich in irgendeiner Form verpflegt.
Ich ertappe mich dabei, wie ich vermehrt auf die Uhr schaue, wo auch immer mir eine begegnet. Ich beschliesse, noch einmal auf den Notfall zu gehen, um mir ein letztes Bild von der Situation dort zu machen. Die heutige Hektik scheint sich allmählich gelegt zu haben, aber sei heftig gewesen, heisst es. Auffällig viele Neuro-Notfälle habe es gegeben in dieser Nacht. Bestätigt wird mir dies auch auf der SIC-Station im 5. Stock von Haus 1, wo die Stimmung angespannt scheint. Man hat keine Zeit für mich, scheint unterbesetzt zu sein in dieser Nacht. Gute Laune herrscht dafür auf Station 172, wo man mich auch noch zu dieser späten Stunde, es ist jetzt 4.30 Uhr, herzlich willkommen heisst. Hier scheint schon alles für den Frühdienst vorbereitet zu sein. Der Frühstückstisch im Nebenraum des Stationszimmers ist bereits gedeckt. Die Rollwagen mit den Laptops für den Frühdienst in Reih und Glied, heisst startbereit. Darüber werden sich die Kolleginnen und Kollegen in rund zwei Stunden freuen.
Gefreut hat man sich auch in der Küche in Haus 18, die ich als Allerletztes unbedingt besuchen wollte, nachdem ich mich im Kindernotfall sowie auch von Lucia Hauri vom Telefondienst wie versprochen, verabschiedet hatte. In der Küche beginnt die erste Schicht bereits um 4.45 Uhr mit dem Belegen der Brote. Ich hätte noch 30 Minuten warten müssen, bis ich vielleicht eines mit auf den Heimweg hätte nehmen dürfen. Doch ich wollte auf keinen Fall den ersten Zug zurück nach Basel verpassen. Punkt 5.30 Uhr stand ich am Bahnhof in Aarau. Mein Kopf brannte ehrlich gesagt, nicht meine Füsse, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Ich glaube, es ist schon sehr sehr lange her gewesen, dass ich mein Bett so sehnlichst herbeigewünscht hatte. Aber die Nacht war überstanden, vergessen hatte ich allerdings, dass die eigentliche Arbeit für mich erst beginnen würde – nämlich diesen Artikel zu schreiben.

Autor*in

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Redaktor/Stv. Mediensprecher

Nach langjähriger Tätigkeit als Lehrer, Korrektor, Redaktor und Verlagsleiter ist Ralph Schröder seit 2011 ein engagierter und bedachter Texter für das KSA, der es jederzeit versteht, dem geschriebenen Wort Verständnis und Sinn einzuimpfen.